KGS-Schüler diskutieren mit Iranerin Kimia Asa über Massenproteste in ihrer Heimat
Pattensen-Mitte. Kimia Asa steht vor der kleinen Klasse und hält ihr Handy in die Höhe. Die 21-jährige gebürtige Iranerin spielt einen Tonmitschnitt ab. Zu hören ist ein Stimmengewirr, dann fallen mehrere Schüsse. Eine Frau schreit. Eine andere weint. Es könnte die Person sein, die die Szene mitschneidet. Nach zehn Sekunden ist es vorbei. Ruhe im Klassenraum des Politikleistungskurses der KGS Pattensen. Die Schülerinnen und Schüler schauen sich betreten um. „Wir sind hier krass privilegiert“, sagt die angehende Abiturientin Lilli Engelhardt. „Man kann sich so etwas gar nicht vorstellen.“ Eine Schulstunde lang spricht Asa mit den Schülern über die Lage im Iran und den Kampf gegen das Regime.
Asa macht Praktikum
Asa lebt in Hannover. Im Alter von acht Jahren hatte sie ihre Heimat verlassen. Derzeit absolviert die 21-Jährige ein Praktikum für Soziale Arbeit an der Ernst-Reuter-Schule in Pattensen. Fünf Klassen besucht sie in diesen Tagen, um über die angespannte Situation im Iran und die Massenproteste zu sprechen. Sie zeigt einen kurzen Film der Entertainer Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die 15 Minuten Sendezeit im Oktober den Protesten widmeten. In dem Film zu sehen: Frauen bewegen sich vor der Islamischen Revolution im Jahr 1979 mit teils kurzen Röcken und ohne Kopftuch. Nachdem Mahsa Amini von der Sittenpolizei im September festgenommen worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen habe und wenige Tage später tot war, begannen die Proteste.
„Mahsa Amini ist nur ein Jahr älter gewesen als ich. Da gibt es natürlich eine besondere Identifikation und verstärkt meine Solidarität“, sagt Asa. Sie sei „sehr dankbar für die Aufmerksamkeit“, die sie in Pattensen in den fünf Klassen erhalte. Die Informationen zu Misshandlungen von Frauen und auch männlichen Unterstützern der Bewegung erhalte sie teils von Freundinnen, die im Iran leben. „Die Kommunikation ist aber nicht ganz einfach, weil das Internet sehr eingeschränkt ist“, sagt Asa. Von den KGS-Schülern wollte sie wissen, was sie von der Nachricht halten, dass die Sittenpolizei im Land aufgelöst worden sei. „Das kann nur ein erster Schritt sein. Denn die Regierung besteht ja weiterhin“, sagt Schülerin Svea Brinkmann. „Die Revolution wäre mit dem Auflösen der Sittenpolizei noch nicht vorbei“, glaubt Mitschülerin Lisann Wegener.
Menschen gehen „all in“
„Es gibt gerade eine Einheit im Iran, die es in den 40 Jahren seit der Islamischen Revolution nicht gegeben hatte. Die Demonstranten waren bislang noch nie so jung. Alle haben nur ein Ziel, das Ende der islamischen Republik“, sagt Asa. Engelhardt fragt, ob es früher denn auch Massenproteste gegeben hätte? „Es gab Demonstrationen, aber nicht in dieser Größe, und sie hielten nie so lange an“, sagt Asa. „Jetzt haben die Menschen keine Angst mehr. Sie gehen ’all in‘ für die Freiheit.“
Asa weist zum Schluss noch auf die wöchentlichen Demonstrationen am Steintor in Hannover jeweils sonnabends ab 12.30 Uhr hin. „Jede Stimme ist wichtig“, wirbt sie für die Beteiligung der Schüler. „Man darf nie vergessen, dass jeden Tag dort Menschen sterben. Deshalb sollte man mit protestieren“, sagt Engelhardt.
Politiklehrer und stellvertretender Schulleiter, Andreas Ulrich, unterstütze diese Proteste. „Wir haben als Thema die Außen- und Sicherheitspolitik. Da passt diese Sache gut hinein“, sagt Ulrich. Ihm sei es wichtig gewesen, die Perspektive einer – aufgrund ihrer Herkunft – Betroffenen zu hören. „Es ist gut, wenn die Schüler das so mitbekommen. Es erweitert immer den Horizont“, sagt Ulrich.
Asa informiert auf ihrem Instagram-Account @kimia_assa regelmäßig über die neuesten Entwicklungen und die geplanten Demonstrationen in Hannover.
Text/Bild: Mark Bode (HAZ)