Zunächst weist Gerull darauf hin, dass Lehrkräfte im eigentlichen Sinne gar keine Erzieherinnen und Erzieher sind. „Wir vermitteln Wissen. Erzieherinnen und Erzieher bringen durch ihre Ausbildung ganz andere Kompetenzen mit“, sagt sie. Allerdings sei ihr durchaus klar, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Erziehungsarbeit auch in die Schulen verlagert worden sei. „In vielen Fällen arbeiten beide Elternteile und sind auf die Betreuungsangebote wie den Ganztag angewiesen“, sagt Gerull.
Die Schulleiterin betont, dass die KGS die Erziehung der Kinder und Jugendlichen auch sehr ernst nehme. Das diesjährige Motto der Schule lautet „Respekt“. Gerull hält es für pädagogisch sinnvoller, die Kinder und Jugendlichen einzubeziehen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, anstatt sie zum Beispiel zu überwachen. Damit spielt sie auf die auch in Pattensen immer wieder aufkommende Diskussion an, ob Teile des Schulgeländes nicht vielleicht mit Kameras überwacht werden sollten. „Ich bin kein Fan von dieser Idee. Wir sind hier eine Schule und kein Hochsicherheitstrakt“, sagt sie. Zudem bekämpfe dies lediglich die Symptome und nicht die Ursache.
Die Täter der jüngsten Sachbeschädigungen sind nicht bekannt. Doch auch Gerull geht davon aus, dass es sich vermutlich um männliche Jugendliche handelt. Solche Vorfälle gebe es in dieser Altersklasse in jeder Generation. Die Jugendlichen müssten in der Pubertät erst lernen, die unterschiedlichen Triebe zu kontrollieren. Häufig handele es sich auch um Mutproben, die der Einzelne nicht ablehnt, weil er sich als Teil der Gruppe beweisen will. Ein konkretes Problem in Pattensen sei auch, dass es kaum ausgewiesene Plätze in der Stadt gebe, an denen Jugendliche sich aufhalten können. Insofern habe Gerull schon Verständnis dafür, dass sie auch in den Abendstunden das Schulgelände aufsuchen. „Das hier ist eben ein klassischer Ort für sie“, sagt Gerull.
Doch es gibt auch noch tieferliegende Ursachen für den zunehmenden Vandalismus. Gerull sieht einen ungewöhnlich großen Druck auf dieser Generation lasten. Sie spielt auf den seit Jahren laufenden Krieg in Europa an, die gerade überstandene Pandemie oder auch eine Zukunft, in der es keine finanziellen Sicherheiten mehr gibt. „Es ist eine Generation, der es nach Statistiken nicht besser gehen wird als ihren Eltern“, sagt sie. Verändert habe sich auch der Stellenwert der Schule. „Viele Jugendliche glauben, dass Zeugnisse gar keine Rolle mehr spielen, weil sie später ohnehin einen Job kriegen, wenn sie wirklich arbeiten wollen“, sagt Gerull. Die Schulleiterin tendiert sogar dazu, ihnen hier zuzustimmen. Aufgrund des demografischen Wandels werde es in einigen Jahren vermutlich ausreichend freie Stellen geben.
Gerull ist eine Anhängerin der „Neuen Autorität“, wie sie von einigen soziologischen und pädagogischen Zweigen vertreten wird. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen, im besten Fall verbunden durch pädagogische Netzwerke. „Ein Kind wird durch viele Einflüsse erzogen“, sagt Gerull. Deshalb sei es wichtig, dass sich Eltern, Lehrkräfte und auch Institutionen wie zum Beispiel die Polizei grundsätzlich in der Art des Umgangs mit Jugendlichen einig seien. So sollten Erwachsene ihre Autorität immer auch reflektieren und sie nicht ausnutzen. Kinder und Jugendliche sollten in Planungen, die sie betreffen, einbezogen werden. Möglich sei es auch, Jugendliche einfach mal auf der Straße direkt anzusprechen, wenn sie sich dort respektlos verhielten. „Präsenz zeigen und nicht wegschauen. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht“, sagt Gerull.
Auch die jugendlichen Schülerinnen und Schüler verurteilen den Vandalismus. Ein Jugendlicher spricht davon, dass die Zerstörung von Schuleigentum Ausdruck des großen Drucks sei, der auf den Schülerinnen und Schülern laste. Damit meint er allerdings weniger die großen geopolitischen Herausforderungen, sondern eher die Angst vor der nächsten Klassenarbeit und den bestehenden Gruppendruck. Auch Selbstzweifel zeigt sich. Eine Schülerin sagt: „Möglicherweise ist unsere Generation tatsächlich schlimmer als die vorherigen.“
Text/Bild: Tobias Lehmann (HAZ)