Nach Flucht vor dem Krieg: So geht es ukrainischen Schülern an der Ernst-Reuter-Schule (HAZ vom 17.10.23)

Nach Flucht vor dem Krieg: So geht es ukrainischen Schülern an der Ernst-Reuter-Schule (HAZ vom 17.10.23)

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind Menschen aus dem Land geflüchtet. In Pattensen besuchen seitdem etwa rund 40 Schülerinnen und Schüler die KGS. Sie integrieren sich, treiben Sport. Doch es gibt auch Probleme.

Pattensen-Mitte. „Ich will nach dem Krieg lieber wieder zurück in die Ukraine“, sagt Dimitri. Der 13-jährige, aus der Klasse 8G3 der Pattenser Ernst-Reuter-Schule (KGS), der von den anderen nur „Dima“ genannt wird, sitzt mit sieben weiteren geflüchteten ukrainischen Schülerinnen und Schülern auf der großen Sitzecke in der „Oase“. Das ist der Rückzugsraum für die Schülerinnen und Schüler der KGS in ihrer freien Zeit zwischen den Unterrichtsstunden. Andere hegen dagegen den Wunsch, in Pattensen zu bleiben. Um sich bestmöglich integrieren zu können, bekommen die Jugendlichen Unterstützung. Schulleiterin Mirjam Gerull sieht die Kommune dabei etwas besser auf die Geflüchteten vorbereitet, als es noch im Jahr 2015 der Fall gewesen ist.

Vor eineinhalb Jahren ist Dimitri mit seinem inzwischen zehnjährigen Bruder und den Eltern über Freunde der Familie nach Pattensen-Mitte gekommen. Ihm gefällt es hier, sagt Dima. Die anderen ukrainischen Schüler stimmen ihm zu. Er gehe gerne in der Stadt seinen Hobbys Fußball, Schwimmen und Triathlon nach. Aber: „In der Ukraine finde ich den Unterricht besser. Hier ist mehr Gruppenarbeit der Schüler angesagt, dort eher Frontalunterricht vom Lehrer. Und ich kann mich in meiner Sprache unterhalten“, sagt Dimitri. „Ich weiß auch noch nicht, ob ich Abitur machen und studieren oder einen Beruf erlernen will“, sagt der unentschlossene Junge weiter.

Manche möchten bleiben

„Ich möchte hierbleiben“, sagt der 14-jährige Ilia. Vor 17 Monaten ist er in Pattensen angekommen und lebt seitdem in einer zwölfköpfigen Pflegefamilie in Schulenburg. Auch die 13-jährige Christina, aus der 8G1, hat Pläne für ihre Zukunft: „Ich möchte hierbleiben und studieren, etwas mit IT machen oder aber Fremdsprachenkorrespondentin werden.“ Rechtsanwältin nach einem Studium – das ist der Traum von Julia aus Odessa. Die 14-Jährige ist schon kurz nach Beginn des Krieges seit März 2022 mit ihren Eltern und ihrem inzwischen zwölfjährigen Bruder in Pattensen-Mitte. Viel Sport, vor allem Boxen, liebt die Schülerin in ihrer Freizeit.

„Deutsch zu lernen ist schwierig, aber die Lehrer und Mitschüler helfen dabei“, sagt die 9G3-Schülerin. Im Unterschied zum Unterricht in der Ukraine würden die Lehrer hier mehr Aufgaben verteilen, dabei mehr helfen und auch motivieren. „In der Ukraine liegt der Lernschwerpunkt bei Mathematik und Naturwissenschaften“, sagt die Schülerin. „Das lerne ich aber besser in meiner Muttersprache.“

40 ukrainische Kinder

Um sprachliche Probleme schneller zu lösen, steht allen als pädagogische Mitarbeiterin Myroslava Kracke zur Seite. Mit ihrer über das Land Niedersachsen finanzierten Stelle bringt sie den ukrainischen Schülern die deutsche Sprache näher. „Seit im März des vergangenen Jahres die ersten nach Pattensen gekommen sind, haben wir unter den rund 1125 Kindern in allen drei Schulzweigen im Schnitt immer rund 40 ukrainische Kinder an der Ernst-Reuter-Schule – aktuell sind es 42, von Jahrgang fünf bis zehn“, sagt die selbst aus der Ukraine stammende Nachhilfelehrerin.

„Je jünger sie sind, desto besser klappt das mit der Integration – eher als bei Erwachsenen“, sagt Gerull. „Ich glaube, sie fühlen sich wohl, weil sie viele Freunde finden – nicht nur ukrainische, sondern auch deutsche Mitschüler. Sprache wird aber nicht nur durch Unterricht vermittelt, sondern auch mit viel Hilfe von Ehrenamtlichen“, sagt sie weiter. Zahlreiche pädagogische Projekte, von spielerischer Art bis hin zur Graffiti-Gestaltung der Sporthallen-Außenwand, würden dabei helfen.

35 Lehrerstunden extra

In den sogenannten DAZ-Kursen – DAZ steht dabei für „Deutsch als Zweitsprache“ – lernen die Ukrainer in Kleingruppen gemeinsam mit Afghanen, Kurden und Iranern, Rumänen und Schülern aus weiteren Ländern. Mit zunehmender Dauer werden sie in den Regelklassen unterrichtet. „Wir bekommen dafür 35 Lehrerstunden extra pro Woche. Das ist extrem wichtig. Aber keine Option, um unseren Lehrkräftemangel zu lösen“, sagt Gerull. An Räumlichkeiten mangele es der Schule allerdings nicht. „Die KGS ist groß genug gebaut“, sagt Gerull.

Sie sieht – im Vergleich zu der Flüchtlingssituation 2015 – einen großen Fortschritt. „Die Technik ist sehr hilfreich bei der Kommunikation. Damit sind wir weiter als 2015 bei den syrischen Flüchtlingen“, sagt die Schulleiterin. „Wenn ein ukrainischer Schüler heute einen deutschen Text nicht versteht, scannt er ihn mit seinem Smartphone oder Tablet ein und bekommt ihn sofort übersetzt“, so Gerull. Aber sie sieht insgesamt auch eine Schattenseite: durch Doppelstress. „Viele ukrainische Eltern möchten, dass ihre Kinder parallel beide Schulabschlüsse machen. Hier in Deutschland – und über Online-Lernen am Computer auch an ihren alten Schulen in der Ukraine“, weiß die KGS-Schulleiterin. Damit nach dem Krieg alle Wege offen stehen für die ukrainischen Schüler in Pattensen.

Text/Bild: Thorsten Lippelt (HAZ)