Pattensen-Mitte. „Wie entstehen Vorurteile?“ Diese Frage richtet Moderator Martin Rietsch an das junge Publikum in der Aula der Ernst-Reuter-Schule. „Die entstehen, wenn man sich Gedanken über jemanden macht, ohne ihn näher kennengelernt zu haben“, antwortet ein Schüler. Ein anderer merkt an, dass Verallgemeinerungen dazu führen können. Andere nicken. „Und wer hat schon einmal eine andere Person gemobbt?“, fragt Rietsch weiter? Fast alle Arme – einige etwas zögerlich – gehen nach oben. „Wir wissen, dass sich das nicht toll anfühlt. Aber wir machen es trotzdem“, sagt Rietsch weiter. Er ist Moderator und Musiker und hat die Initiative „Sei eine Stimme“ gegründet. Mit der Wanderausstellung zu den Themen Rassismus, Diskriminierung und Rechtsextremismus reist er durch die gesamte Republik. Nun macht er Station in Pattensen an der KGS.
Kommunikation ist erster Schritt
Susanne Farkhar ist pädagogische Mitarbeiterin an der KGS. Sie erlebt immer wieder Momente, in denen sich Kinder ausgegrenzt und gemobbt fühlen. „Das kommt nicht selten vor“, sagt sie. Hauptauslöser sei oft, dass sich Personen nicht gewertschätzt fühlen. Farkhar setzt sich dann mit den Beteiligten in der KGS-Oase zusammen.
„Wir besprechen die Dinge. Und ganz wichtig: Wir hören uns gegenseitig zu, jeder darf seine Wahrnehmung schildern.“ Das führe oft zu einer Verbesserung der Situation. „Wir können viel verändern, wenn wir wollen“, sagt Rietsch. Dafür sei die Kommunikation miteinander wichtig. „Wenn man sich miteinander auseinandersetzt, kann man einen Kompromiss finden und schon ist alles sehr viel gerechter“, sagt Rietsch. Er ist Sohn eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter und in Kiel aufgewachsen.
Diskriminierung und Mobbing könne viele Gesichter haben, sagt Pattensens Bürgermeisterin Ramona Schumann (SPD). Sie ist Schirmherrin der Initiative „Sei eine Stimme“ in Pattensen. „Es kann eine kleine Spitze im Gespräch sein“, sagt sie. „Deshalb soll jeder regelmäßig darüber nachdenken, wie man sich selber fühlt, wenn jemand mit mir so spricht, wie ich gerade mit ihm oder ihr.“ Es sei wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie man miteinander leben möchte.
In der Podiumsdiskussion berichtet beispielsweise Rechtsanwalt und Strafverteidiger Roman von Alvensleben vom Täter, der 2015 einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Salzhemmendorf verübt hatte. „So eine unsinnige Tat folgt auf ein Vorurteil. Es ist wichtig und interessant, das aufzuarbeiten“, sagt von Alvensleben. Juri Sladkov ist beim Sportverein Hannover 96 für soziales Engagement zuständig. Er berichtet von Projekten, die sich gegen Rassismus auf der Tribüne richten. „Wir wollen nicht, dass solche Leute ins Stadion kommen“, sagt er.
„Man muss immer wieder auf einen respektvollen Umgang aufmerksam machen und sich regelmäßig selber hinterfragen“, sagt Rietsch. Diesen respektvollen Umgang wünsche sich auch die elfjährige Hanna. Die Sechstklässlerin sagt, dass ihre Generation die Zukunft sei. „Dabei trauen uns Erwachsene nie etwas zu und sagen, wir seien noch zu klein und verstehen Dinge nicht. Dabei verstehen wir sehr gut. Was kann man dagegen machen?“, fragt sie in die Podiumsrunde. Von Alvensleben antwortet: „Die Botschaft an die Erwachsenen muss dabei lauten, die Jüngeren mitzunehmen und zuzuhören.“
Hanna hofft, dass diese Botschaft bei Erwachsenen tatsächlich ankommt. „Denn das nervt mich sehr“, sagt sie kurz darauf im kurzen Gespräch mit dieser Zeitung. Sie bezeichnet die Veranstaltung als gut. Doch es dürfe nicht bei diesem einmaligen Event bleiben. „Das bleibt dann vielleicht bis nächste Woche im Kopf und ist dann schon wieder vergessen. Es muss regelmäßig und nachhaltig sein“, fordert die reflektierte Elfjährige.
Drei Veranstaltungen geplant
Genau das soll es auch werden. Erstmals hatte sich die Schule auf Initiative von Farkhar ein Jahresmotto gegeben: „Vielfalt (er)leben“ lautet dies. Dazu passe die Beteiligung an der Aktion „Sei eine Stimme“. Bis zum Schuljahresende seien noch drei weitere größere Veranstaltungen geplant. Das Gesagte werde dabei nicht einfach verpuffen. So wird diese Podiumsdiskussion live gestreamt. In mehreren Klassen verfolgen die Schülerinnen und Schüler das Gesagte und sprechen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern anschließend drüber. Präsent sind lediglich die Schülersprecher und -sprecherinnen sowie eine ausgewählte Begleitperson. „Wir haben nicht für alle Platz. Aber die Anwesenden tragen das anschließend auch weiter in ihre Klassen“, sagt Farkhar.
Das hofft auch Lubna Al Aswad. Sie ist KGS-Schülerin und Mitglied des Jugendparlaments.„Es werden alle über das Gesagte nachdenken. Es ist toll, dass so etwas an unserer Schule möglich ist“, sagt sie. Sie selbst habe in der Schulzeit mehrfach das Gefühl gehabt, dass sie sich im Unterricht beispielsweise mehr beweisen müsse, als deutsche Mitschülerinnen und Mitschüler. Sie lobt besonders das Engagement von den Lehrkräften, der pädagogischen Mitarbeiter und der Schulleitung. „So etwas geht nur mit besonderem Engagement“, sagt Lubna Al Aswad.
Ausstellung zeigt 80 Plakate
Auf den 80 Plakaten der Wanderausstellung in der Aula sind auf einer Seite Persönlichkeiten und jeweils ein kurzer Text zu den Themen Integration, Respekt und Gemeinschaft abgebildet.
Auf der zweiten Seite befindet sich jeweils ein längerer Text mit Erläuterungen zur Person oder zu Erfahrungen mit Rassismus oder Diskriminierung.
Die Schule öffnet sich bis Freitag, 14. Oktober für die Öffentlichkeit. Wer Interesse hat, sich die Ausstellung in der Aula aus der Nähe anzuschauen, hat werktags von 8 bis 15 Uhr die Gelegenheit dazu. Das Gebot, dass sich schulfremde Personen vorab im Sekretariat anmelden müssen, wird für Besucherinnen und Besucher der Ausstellung ausgesetzt. Weitere Informationen zu der Initiative gibt es im Internet unter www.seieinestimme.de.
Text/Bild: Mark Bode (HAZ)