Graue Nudeln und Begegnung im Bunker (HAZ vom 15.07.22)

Graue Nudeln und Begegnung im Bunker (HAZ vom 15.07.22)

Zeitzeugen Horst Gerecke und Horst Callies berichten in KGS Pattensen von ihren Kriegserlebnissen

Pattensen-Mitte. Die Schilderungen hatten die etwa 150 Schülerinnen und Schüler der Ernst-Reuter-Schule beeindruckt: Der Pattenser Horst Gerecke und dessen Jugendfreund Professor Horst Callies berichteten kurz vor den Sommerferien in der KGS-Aula von ihren Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus. „Bald wird es sie nicht mehr geben: Menschen, die die letzten Tage des NS-Regimes miterlebt haben“, sagte Lehrer Philipp Sölken. Er und Ann-Kathrin Giebe hatten das Zeitzeugengespräch in ihrem Geschichtskurs vorbereitet. Damit die Aussagen zu grauen Nudeln und Begegnungen im Luftschutzbunker für zukünftige Schulklassen nicht verloren gehen, wurde die Veranstaltung aufgezeichnet.

Die beiden 88-Jährigen berichteten vom ersten Kennenlernen im Luftschutzbunker in Wolfenbüttel. Beide erzählten von unterschiedlichen Erfahrungen im Grundschulalter. Während Gereckes Eltern ein Lebensmittelgeschäft betrieben und er von der Nahrungsknappheit verschont blieb, hatte Callies weniger Glück. „Ich habe eine vage Erinnerung daran, dass ich abends im Bett gelegen und gewimmert habe, weil ich Hunger hatte“, sagte Callies. Besonders der „schreckliche Geschmack“ von grauen Nudeln sei ihm im Gedächtnis geblieben: „Die haben einem den Magen vollgepappt und einem nur das Gefühl gegeben, man sei satt.“

Die Schülerinnen und Schüler wollten wissen, wie die beiden den Nationalsozialismus in ihrem Alltag erlebt hätten. Gerecke berichtete davon, wie zu Schulbeginn mit Hitlergruß das Deutschlandlied gesungen werden musste. Auch an die NS-Jugendorganisation „Jungvolk“ konnte er sich erinnern, auch wenn er aufgrund seiner Tuberkulose-Erkrankung um eine Mitgliedschaft herumkam. Dass diese Organisationen jedoch eine gewisse Faszination auf einen Zehnjährigen ausübte, stellte Gerecke ganz offen fest. „Heute kann ich sagen, ich war schon immer gegen das System, aber das stimmt natürlich nicht.“

„Die beiden schafften es durch solche persönlichen Einblicke, Geschichte für die Schülerinnen und Schüler vorstellbar zu machen“, sagte Sölken. Im neuen Schuljahr sollten die Themen in den Geschichtsleistungskursen weiter vertief werden, sagte Sölken. Er und Giebe legten einen Fokus auf die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Gedenkstättenfahrten zu den früheren Konzentrationslagern Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau mit weiteren Zeitzeugengesprächen sind geplant.

Text: Mark Bode
Bild: Philipp Sölken