KGS Pattensen nimmt erstmals am Projekt „Herausforderung“ teil / Neuntklässler reisen zwei Wochen ohne Eltern, ohne Handy und mit nur 150 Euro pro Person
Pattensen. Es könnten Schlagworte für ein TV-Sozialexperiment sein: Zwei Wochen, kein Handy,
150 Euro. Das Ziel: Durchhalten, nicht aufgeben. Dieser ungewöhnlichen Herausforderung haben sich jetzt 150 Schülerinnen und Schüler des neunten Jahrgangs der KGS Pattensen gestellt. Der Name des Projekts lautet denn auch passend: „Herausforderung“.
Aufgabe der Jugendlichen war es, zwei Wochen lang allein oder in Kleingruppen außerhalb des Elternhauses zu verbringen und in dieser Zeit auch keinen Kontakt zu den Eltern zu haben. Deshalb durften sie auf ihrer Reise auch kein Smartphone mitnehmen. Für die gesamte Zeit bekam jeder 150 Euro. Das Geld musste reichen, um Essen zu kaufen und eventuell auch Schlafplätze zu organisieren.
Viele Gruppen sind in einer Größe von fünf bis acht Schülerinnen oder Schülern auf Fahrradtour gegangen. Begleitet wurden sie dabei von Lehramtsstudentinnen und -studenten aus Hannover. Diese hatten für Notfälle ein Handy dabei, sodass die Gruppen auch immer erreichbar waren. Eigenes Geld stand den Studenten jedoch nicht zur Verfügung, die Schüler mussten das Essen für die Betreuer ebenfalls von ihrem Geld bezahlen.
Keine Bewertung
Schulleiterin Mirjam Gerull hatte Wert darauf gelegt, dass die Gruppen von Studenten und nicht von Lehrenden begleitet werden. „Die Schülerinnen und Schüler sollten auf dieser Reise von Erwachsenen begleitet werden, die sie nicht bewerten“, sagt Gerull. Die Teilnahme werde auch nicht benotet.
Für Gerull war es wichtig, dass die Schüler einmal ihre Komfortzone verlassen, Herausforderungen bewältigen und soziale Kompetenzen erwerben. „Sie sollten Selbstbewusstsein entwickeln, indem sie lernen, mit unerwarteten Situationen umzugehen, wenn zum Beispiel ein Fahrradreifen kaputtgeht und niemand Flickzeug dabei hat. Das wird auch später in der Berufswelt wichtig sein“, sagt die Schulleiterin.
Jugendliche klingeln an Haustür
So sei es auch vorgekommen, dass sich die geplante Übernachtungsmöglichkeit nicht umsetzen ließ. „Unsere Jugendlichen haben dann an Haustüren geklingelt und gefragt. Am Ende haben wir einen Schlafplatz gefunden“, sagt Krebs. Der 13-jährige Mattes und der
14-jährige Paul hatten in ihrer Fahrradgruppe ein ähnliches Problem. „Wir haben bei einem Bauernhof gefragt und hatten Glück. Sie konnten uns ein leeres Vereinsheim als Schlafplatz vermitteln“, sagen die beiden. Und als die mitgebrachte Luftpumpe nicht funktionierte, habe die Gruppe stattdessen eine Tankstelle angesteuert.
Auch das Gruppenerlebnis sei für die Schülerinnen und Schüler nach dem langen Lockdown wichtig gewesen. „Die Zeit der Pubertät geht auch mit vielen körperlichen Veränderungen einher. Die Jugendlichen haben ein Bedürfnis danach, sich darüber auch untereinander auszutauschen“, sagt Gerull. Sie sei deshalb froh, dass alle Eltern dem Projekt schließlich zugestimmt hätten.
Emma (13) wohnt allein
Das sieht auch die 13-jährige Emma so. Sie hat sich bei der St.-Andreas-Gemeinde in Springe selbst eine Unterkunft gesucht. „Zu Beginn war es sehr ungewohnt, mich selbst um alles zu kümmern, Essen einzukaufen und auch zuzubereiten. Doch am Ende war es toll“, sagt Emma. Sie habe auch ihre Hemmungen verloren, fremde Menschen anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Die 15-jährige Joona hat hingegen Lieder für ein Musikprojekt im Tonstudio der KGS aufgenommen. Damit war sie jeweils den ganzen Tag beschäftigt und kümmerte sich auch selbst um ihre Verpflegung. Sie schlief allerdings zu Hause – was möglich war: „Wir haben das Projekt an die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Schüler und Eltern angepasst“, sagt Mirjam Gerull. Zumal es auch einige Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf an der Schule gebe.
„Für einige war es persönlich ein großer Entwicklungsschritt, einmal ohne die Eltern mit öffentlichen Verkehrsmitteln von einem Ort zum anderen zu fahren. Auf diese persönliche Entwicklung kam es bei diesem Projekt an“, sagt Gerull.
Herausforderung für die Eltern
Die Schulelternratsvorsitzende Claudia Schlegel ist die Mutter von Emma. „Es ist ein tolles Projekt. Allerdings ist es auch für uns Eltern eine Herausforderung“, sagt sie. Immerhin: Die Betreuer der Gruppen machten täglich zumindest ein Foto und leiteten es per E-Mail an die Eltern weiter.
Claudia Schlegel hat ihre Tochter hingegen während der gesamten zwei Wochen weder gesehen noch gesprochen, da sie allein wohnte. „Das war schon ein komisches Gefühl. Ich musste mir immer wieder sagen, dass keine Nachrichten gute Nachrichten sind“, sagt Schlegel. Das
Projekt trage aus ihrer Sicht zur Entwicklung der Kinder bei. „Wir Eltern müssen einfach mal loslassen, auch wenn das nicht leicht ist.“
Text/Bilder: Tobias Lehmann (HAZ)